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Aufgeschoben oder aufgehoben – was steckt hinter der CanG-Verschleppung der SPD?

Update vom 02.02.24: In der SPD-Bundestagsfraktion wurde nun endlich ein Durchbruch erzielt, so dass der Verabschiedung des CanG in der dritten Sitzungswoche nichts mehr im Wege steht – jedenfalls nach menschlichem Ermessen. Mehr Infos dazu findet ihr in diesem Beitrag.

 

Cannabisgesetz: Zweite und dritte Lesung weiter offen

Knapp 6 Wochen ist es her, dass die Hoffnungen der Cannabis-Community einen krassen Dämpfer erlitten. Binnen weniger Tage wurde aus einer stolz verkündeten Einigung auf die finale Fassung des Cannabisgesetzes – mit avisierter Verabschiedung im Bundestag im Dezember – eine völlig überraschende Kehrtwende der SPD. Wir erinnern uns: Die SPD-Fraktionsgeschäftsführerin Katja Mast hatte Anfang Dezember auf Nachfrage und ohne nähere Erläuterung mitgeteilt, dass es in der Bundestagsfraktion noch Gesprächsbedarf gebe und die 2./3. Lesung des CanG deshalb nicht vor Weihnachten auf die Tagesordnung komme (siehe unser Update vom 11.12.23).

Seitdem herrscht vor allem eines: große Ratlosigkeit allerorten. Offenbar weiß auch innerhalb der SPD-Fraktion niemand so recht, wie es nun weitergeht. Um die engagierten Fachpolitiker:innen Wegge, Heidenblut & Co. ist es beunruhigend still geworden. Die vielfachen, berechtigten Nachfragen aus der Community werden bestenfalls mit sehr vagen Aussagen beantwortet – „klärende Gespräche“, „zeitnahe Verabschiedung“, „man geht davon aus“, „auf der Zielgeraden“. Anfang Januar keimte kurz etwas Zuversicht auf, als in einem geleakten Papier zur Arbeitsplanung der SPD-Bundestagsfraktion das CanG mit „Zeitplan Januar 2024“ auftauchte. Aus den Beratungen des Fraktionsvorstands hierzu hörte man anschließend jedoch: nichts. Was ist passiert?

 

 


 

 

Das bisschen Haushalt macht … alles kaputt?

Zunächst kam die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur teilweisen Verfassungswidrigkeit des Haushalts Mitte November zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Die dadurch ausgelöste Haushaltskrise hat einiges in der politischen Planung gehörig durcheinandergewirbelt. Es war durchaus nachvollziehbar, dass man sich angesichts des Haushaltsstreits und der Verunsicherung der ganzen Nation nun nicht vorrangig mit der Cannabis-Legalisierung befassen konnte und wollte. In diese Richtung hatte sich u.a. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert geäußert. Diese Argumentationslinie ist auch weiterhin intakt, denn zwar ist der Haushalt 2024 inzwischen geklärt, jedoch muss das Haushaltsgesetz noch immer vom Bundestag beraten und verabschiedet werden. Dies wird in der 2. Sitzungswoche vom 29. Januar bis 2. Februar passieren, die damit eine „Haushaltswoche“ ist. Dirk Heidenblut schrieb dazu am 19. Januar auf Instagram:

In einer Haushaltswoche wird nur Haushalt diskutiert und beschlossen. Das CanG kann also (zumindest erwarte ich das so) erst in KW8 aufgesetzt werden.

 

SPD-Innenpolitiker contra Säule 1

In KW8 vom 19. bis 23. Februar hat der Bundestag seine 3. Sitzungswoche in 2024. Dass Heidenblut nur von Erwartungen schreibt und die Aufsetzung nicht bestätigen kann, liegt wohl an der „irritierenden Vielstimmigkeit innerhalb der SPD“, die seine Kollegin Kristine Lütke von der FDP zuletzt auf X beklagt hat. Immer mehr SPD-Mandatsträger, vorrangig Innenpolitiker, melden sich mit kritischen Stimmen zu Wort. Losgetreten wurde die Lawine vom kriminalpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Sebastian Fiedler Anfang Dezember. Er spart nicht mit Weltuntergangsszenarien. Der Gesetzentwurf habe „mit den Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag rein gar nichts zu tun“, weil nun statt lizenzierten Fachgeschäften „ein buchstäblich tonnenschwerer völlig unkontrollierter Cannabis-Privatmarkt in deutschen Wohnungen“ entstehen solle, „bei dem jeder Erwachsene Stoff für 150 Joints aufbewahren darf“. An jeder Ecke, zum Beispiel in Straßencafés, dürfe dann gekifft werden, und es entstünden paradiesische Zustände für die Dealer, während das CanG in dieser Form rein gar keine Auswirkungen auf die organisierte Kriminalität hätte. Auch würde man den Rechtsextremen mit diesem Gesetz „durchschlagende Munition“ liefern.

Man fragt sich angesichts solch allumfassender Kritik, wo Herr Fiedler die letzten Monate war. Hat er mitbekommen, warum Karl Lauterbach die ursprünglich geplante Regulierung mit Fachgeschäften zurückgestellt hat? Ist ihm schon einmal das 2-Säulenmodell – mit der Entkriminalisierung und privatem wie gemeinschaftlichem Eigenanbau als Säule 1 – zu Ohren gekommen? Hat er sich mal die „Bubatz-Karte“ angeschaut und gezählt, wie viele Straßenecken angesichts der Abstandsregelungen außerhalb der Konsumverbotszonen überhaupt noch übrigbleiben? Und was ist die Alternative: Wir lassen die organisierte Kriminalität und die Dealer lieber gleich ganz in Ruhe und machen weiter wie bisher?

 

BKA-Bericht ohne Substanz stützt die Gegner

Vor dem Hintergrund der heutigen Realität einerseits und der strengen Vorgaben des CanG andererseits (die auch im letzten Entwurf kaum entschärft wurden), ist es beschämend, nun das Schreckgespenst eines völlig unkontrollierten Cannabis-Marktes an die Wand zu malen. Gleichwohl haben sich seit Fiedlers Vorstoß auch etliche prominentere SPD-Politiker mehr oder weniger klar gegen das Cannabisgesetz positioniert – vor allem die Landesinnenminister und auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Dabei stützt man sich u.a. auf ein vertrauliches „Gutachten“ des Bundeskriminalamts, das von der Innenministerkonferenz der Länder in Auftrag gegeben und im Dezember vorgelegt wurde.

Das BKA-Papier, das zuerst von LTO geleakt wurde, trägt den Titel „Auswirkungen der Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken auf die Strafverfolgungs- und Ordnungsbehörden“ und umfasst ganze sechs Seiten. Davon entfallen dreieinhalb Seiten auf das Inhaltsverzeichnis sowie die Beschreibung des Auftrags und des Sachstandes. Bleiben zweieinhalb Seiten für eine Bewertung des Gesetzesvorhabens. Diese fällt entsprechend dünn aus, kommt aber zu dem Schluss, „dass auf die Strafverfolgungs- und Ordnungsbehörden der Länder zusätzliche Aufgaben und Aufwendungen in Form von Personal- und Sachkosten zukommen werden, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht im Detail beziffert werden können“.

Argument der Überwachung von Konsumverboten

Zum Beispiel wird dies damit begründet, dass ja die Konsumverbote überwacht werden müssten, was in eng bebauten und/oder stark frequentierten Stadtteilen eine stärkere Polizeipräsenz erforderlich machen würde. Als ob nun alle zum Kiffen extra auf den Spielplatz oder vor die Schule gehen. Dass man unverbesserliche „Problem-Kiffer“ auch anlassbezogen händeln kann, kommt wohl niemandem in den Sinn. Zugleich wird in Bezug auf die derzeit jährlich 180.000 (!) konsumnahen Cannabisdelikte allen Ernstes in Frage gestellt, dass die Entkriminalisierung hier eine spürbare Entlastung bringen würde. Es müsse ja auch weiterhin Cannabis sichergestellt und beschlagnahmt werden, wenn bspw. gegen die maximale Besitzmenge verstoßen werde. Wo bleibt hier der gesunde Menschenverstand, oder was für ein Menschenbild haben Beamte, die ernsthaft unterstellen, dass nach einer Entkriminalisierung jeden Tag quasi genauso viele Leute mit mehr als 25 Gramm erwischt würden, wie heute für den Besitz von wenigen Gramm oder auch nur Krümeln Cannabis verknackt werden? Nicht zuletzt wird im BKA-Bericht auf „die notwendigen Bereinigungen der polizeilichen Datenbestände“ (Stichwort Amnestie) verwiesen. Abgesehen davon, dass es sich dabei um Einmalaufwand handelt, bestätigt man damit doch wieder indirekt, dass die bisherige Strafverfolgungspraxis offenbar erhebliche Ressourcen gebunden hat.

 

SPD-Justizministerin warnt vor verantwortungslosen Konsumenten

Die niedersächsische SPD-Justizministerin Kathrin Wahlmann warnt unterdessen davor, „zu suggerieren, dass Cannabis ungefährlich ist, nur weil der Besitz in bestimmten Mengen voraussichtlich straflos wird“. Aus ihrer langjährigen Erfahrung als Strafrichterin wisse sie sehr genau, dass Cannabis-Konsum gerade bei jungen Konsumentinnen und Konsumenten erhebliche Schäden im Gehirn verursachen kann. Nun, darauf sind diejenigen, die seit Monaten an diesem Gesetz gearbeitet haben, natürlich noch gar nicht gekommen. Freilich wäre es deshalb besser, den Jugendschutz dem Dealer zu überlassen. Ironie aus.

Auch den Kinder- und Jugendschutz im privaten Bereich könne laut Wahlmann niemand kontrollieren, wenn die Eltern Cannabispflanzen ziehen. Aus ihrer Sicht sind scheinbar alle, die Eltern sind und gleichzeitig hin und wieder Cannabis konsumieren, bekloppt oder verantwortungslos oder beides. Jedenfalls kann man dem gemeinen Bürger keinerlei Eigenverantwortung zutrauen.

 

Hoffnung auf klärende Gespräche – und Druck von den Koalitionspartnern

Alles in allem kann man sich ob so viel Ignoranz in den Reihen der SPD nur verwundert die Augen reiben. Bemerkenswert ist auch, dass vergleichbare Kritik von Innenpolitikern der Grünen und der FDP nicht zu vernehmen ist. Man darf davon ausgehen, dass diese nun auch den Druck auf den großen Koalitionspartner erhöhen werden, denn ein weiteres gescheitertes Gesetzesvorhaben kann sich die Ampel-Regierung eigentlich nicht leisten. Wie die SZ berichtete, gab und gibt es immer noch Krisengespräche zwischen Gesundheitsminister Lauterbach und seinen Fraktionskollegen – wobei sich Lauterbachs persönlicher Einsatz mutmaßlich in Grenzen hält. Immerhin ließ er am 20. Januar über dpa verlauten, dass die Gespräche „vielversprechend“ liefen und er weiterhin von der Verabschiedung in der 3. Sitzungswoche ausgehe.

Nun muss das CanG auf die Tagesordnung!

Man kann nur hoffen, dass in den verbleibenden Tagen bis dahin die vernünftigen Stimmen in der SPD (und darüber hinaus) wieder die Oberhand gewinnen, die sich mit wirklich guten Argumenten beharrlich für eine neue, zeitgemäße Drogenpolitik einsetzen. Damit das CanG nun wirklich in der Woche ab dem 19. Februar im Bundestag verabschiedet wird – wenn nötig, eben noch mit kleinen Zugeständnissen an der einen oder anderen Stelle – und am 1. April 2024 in Kraft treten kann. Wie die Tagesordnung für die Sitzungswoche im Februar aussieht, werden wir hoffentlich Anfang des Monats (nach der Haushaltswoche) erfahren. Die Planung für die jeweils aktuelle Sitzungswoche könnt ihr auf der Website des Bundestages nachlesen, sie wird in der Regel 1-2 Wochen vorher veröffentlicht. Sollte es auch in der 3. Sitzungswoche nichts werden, dürfte – falls das Gesetz dann überhaupt noch kommt – der 1. April nur schwer zu halten sein. Vom 11. bis 22. März tagt der Deutsche Bundestag zwei Wochen hintereinander. Falls man dann zur Verabschiedung kommt – eher am Anfang dieses Zeitfensters – könnte das CanG theoretisch auch noch rechtzeitig dem Bundesrat für seine Plenarsitzung am 22. März vorgelegt werden. Die Tagesordnung des Bundesrates erscheint jeweils zehn Tage vor dem Plenum, wenngleich Nachträge noch bis zum Beginn der Sitzung möglich sind.

Hallo, Skeptiker in der SPD: Es ist völlig klar, dass dieses Gesetz nicht der Weisheit letzter Schluss ist, sondern nur der Beginn eines Weges hin zu einer modernen und wirksamen Regulierung, an der weiter aktiv, auch auf europäischer Ebene, gearbeitet werden muss. Erkennt dies endlich an und verhindert nicht schon den ersten Schritt! Apropos, Herr Lauterbach, dann sind wir auch gespannt auf die Eckpunkte für Säule 2…!

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